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Professor James Moriarty

(Veröffentlicht am 2. August 2019 | Kategorie: Mathematik-Lehrkräfte | Schlagwörter: , , )

Skrupelloses Verbrechergenie oder Mathematiklehrer? Der Roman „The Seven-Per-Cent-Solution“ gibt Antworten und ermöglicht zudem eine literarische Perspektive auf die Rolle der Mathematik in der Gesellschaft.

Wer ist Professor Moriarty?


James Moriarty, Original-Illustration nach Sidney Paget.
Die Figur des Professor James Moriarty ist eine der bekanntesten aus der Welt des Sherlock Holmes. Obwohl Moriarty nur in zwei der Original-Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle in Erscheinung tritt (The Final Problem, Valley of Fear), schildert Holmes den Mathematikprofessor als seinen mächtigsten und gefährlichsten Gegenspieler; Moriarty, so Holmes, sei der „Napoleon des Verbrechens“.

Das seltene Auftreten im Originalkanon hat die Literatur- und Filmwelt jedoch nicht davon abgehalten, die Figur des Moriarty in mannigfaltiger Weise aufzugreifen, weiterzuentwickeln und in verschiedene Welten und Epochen hineinzuversetzen. (Achtung, in der folgenden Aufzählung sind Spoiler enthalten.)

Warum taucht Moriarty nun in der Rubrik der Mathematiklehrkräfte auf? Neben seiner oft erwähnten Stellung als Mathematikprofessor (in der er streng genommen auch eine Art Mathematiklehrer ist) verdankt er dies vor allem einem sehr intelligenten Werk von Nicholas Meyer (übrigens Mitproduzent der Star Trek Serie „Discovery“), in dem Moriarty als Hauslehrer auftritt.

Ein Roman wie ein lange gesuchtes Puzzleteil

Meyer schrieb seinen Roman „The Seven Percent Solution“ so, dass dieser sich nahtlos in Arthur Conan Doyles Original-Universum einfügt, dabei jedoch zentrale Tatsachen neu interpretiert.

Konkret stellt Meyer fest, dass Holmes Begleiter Watson in seinen Aufzeichnungen, die aus der Zeit vor Holmes‘ vermeintlichem Tod an den Reichenbachfällen stammen, berichtet, wie Holmes immer wieder von Kokain Gebrauch machte. Dies tritt in den Geschichten nach den Reichenbachfällen nicht mehr auf. Daraus folgert Meyer, dass in der Zeit zwischen Reichenbachfällen und Wiederauftreten etwas geschehen sein muss. Zudem verwundert Meyer das seltene Auftreten Moriartys in Watsons Aufzeichnungen. Ein derartig genialer und perfider Verbrecher würde den Detektiv sicher öfters fordern als nur zweimal.

Meyers Lösung ist ein romangewordenes Stück Psychoanalyse. Moriarty existiert zwar als Person, jedoch wird er nur dann in Holmes Gedankenwelt zum Verbrechergenie, wenn der Detektiv unter dem Einfluss von Kokain steht. In der Realität ist James Moriarty der ehemalige (Privat-)Mathematiklehrer der Familie Holmes.

Briefmarke der britischen Post zum vermeintlichen Ende des Meisterdetektivs und seines Widersachers (aus einer Reihe von fünf Briefmarken)
Briefmarke der britischen Post zum vermeintlichen Ende des Meisterdetektivs und seines Widersachers (aus einer Reihe von fünf Briefmarken).
Als Watson mit Moriarty spricht, wird schnell deutlich, dass er es weder mit einem Gangsterboss noch mit einem Mathematikprofessor, dessen Spezialgebiet der Binomialsatz ist, zu tun hat:

Watson: „So, you are not …“
Moriarty: „Who has anything new to say about the binomial theorem at this late date?“

Um Holmes vor seinem Tod zu bewahren, lotst Watson seinen Partner nach Wien zu Dr. Sigmund Freud, der Holmes einer neuartigen Entziehungsmethode unterzieht, die sich stark an der von Freud entwickelten Psychoanalyse orientiert. Freud findet zuletzt zudem heraus: In die Stellung des Gangsterbosses in Holmes Gedanken gerät James Moriarty, da er den Holmes-Brüdern als Erster die Nachricht vom Tod ihrer Mutter überbringt.

In einer cleveren Abschlusssequenz kündigt Holmes an, in den folgenden Monaten inkognito als Geiger Sigerson durch Europa zu reisen. Auf Watsons Nachfrage, was dieser seinen Lesern erzählen soll, schlägt Holmes vor:

„Tell them, I was murdered by my mathematics tutor, if you like. They‘ll never believe you in any case.“

Was Watson daraus machte, kann in „The Final Problem“ nachgelesen werden.

Mathematik und Sherlock Holmes

Bemerkenswert ist in Zusammenhang mit dem Charakter des Sherlock Holmes die besondere Rolle der Mathematik, die sich vor allem in späteren Fortschreibungen und Werken (Pastiches) zeigt. Ist Holmes auch ein hochgradig logischer Denker und ein Meister auf verschiedensten Gebieten, so gilt dies – scheinbar – nicht für die Mathematik.

In „The Seven-Per-Cent Solution“ kommentiert Holmes Moriartys Rolle auf den letzten Seiten des Romans mit einem vermutlich etwas scherzhaft gemeinten Satz:

„The only time Professor Moriarty truly occupied the role of my evil genius was when it took him three weeks to make clear to me the mysteries of elementary calculus.“

In der Fernsehserie Elementary kennt sich Holmes sich in den abgedrehtesten Dingen aus, äußert jedoch immer wieder, dass Mathematik nicht seine Stärke ist (!) und er lieber einen externen Berater hinzuzieht (in der Tat eine bekannte Methode …).

Dass es für einen der logisch präzisesten Charaktere der Literatur (neben vielleicht Mr Spock) gerade in jener Wissenschaft Mysterien geben soll, bei der so ziemlich alles Unlogische eliminiert und Störfaktoren wie Messfehler, irrationales menschliches Verhalten, etc. gar nicht auftreten, ist zumindest bemerkenswert. Immerhin wird sonst nahezu alles aufgedeckt; auch solche Dinge, bei denen aktiv mitdenkende Leserinnen und Leser aufmerken: „Moment, hier könnten aber schon noch andere Dinge einen Einfluss haben …“

So spiegelt sich in den Werken zumindest zum Teil eine Meinung über Mathematik wider, welche in der Gesellschaft nicht selten zu beobachten, jedoch grundweg falsch ist: Mathematik ist demnach ein nur für wenige Auserwählte zugängliches Mysterium. Und nicht einmal Sherlock Holmes ist in diesem Zirkel!

Es wäre hochinteressant, den Kanon der Holmes Geschichten und das Universum der Pastiche-Geschichten zu durchstöbern, wie sich eigentlich hier die Rolle der Mathematik und das Verhältnis zwischen Superhirn und Mathematik darstellt. Gründe zu identifizieren, warum Mathematik bei Autorinnen und Autoren gerade diese Rolle einnimmt, wäre eine hochinteressante Aufgabe an der Schnittstelle zwischen Literaturwissenschaften und Mathematik.

Ungeachtet dieser Fragen möchte ich hier eine unbedingte Leseempfehlung für Sherlock Holmes aussprechen: es macht einfach sehr viel Spaß.

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